Alcatraz war einst das furchteinflößendste Gefängnis auf Erden. Eine Flucht von diesem Ort galt als ausgeschlossen. Mindestens 36 Insassen hatten es bereits versucht, keiner von ihnen überlebte. Doch all das änderte sich an einem Tag im Juni 1962. Eine Gruppe von drei Männern sprang in die stürmischen Gewässer der Bucht von San Francisco, um von “The Rock” zu entkommen.

Ihr Schicksal blieb ungewiss, bis der Polizei im Januar 2018 ein mysteriöser Brief zugespielt wurde, der alles veränderte und das FBI zwang, die Ermittlungen wieder aufzunehmen. Lesen Sie weiter und erfahren Sie alles über die wahre Geschichte hinter der großen Flucht von Alcatraz, und was wirklich mit jenen geschehen ist, denen dieses Kunststück gelungen ist.

01. Ein Schreiben von John Anglin
Es war ein Tag wie jeder andere, bis das San Francisco Police Department einen der brisantesten Briefe in seiner Geschichte erhielt. Darin stand geschrieben: „Mein Name ist John Anglin. Ich bin im Juni 1962 mit meinem Bruder und Frank Morris von Alcatraz geflohen.“


Der Fall des Ausbruchs aus Alcatraz ist eines der berühmtesten ungelösten Mysterien der amerikanischen Geschichte. Die Behörden hatten damals angegeben, dass alle drei Männer noch in der Nacht der Flucht in den eiskalten Gewässern gestorben waren. Aber war das alles gelogen? War dieser Brief tatsächlich echt? Gab es vielleicht ein höheres Motiv hinter dieser Geschichte?

02. Der Brief, der alles veränderte
Der Fall der Geflohenen von Alcatraz stellte die Ermittlungsbehörden auf allen Ebenen jahrzehntelang vor Rätsel. Und plötzlich behauptet jemand in einem Brief, er könne endlich enthüllen, was in jener schicksalhaften Nacht tatsächlich geschehen war. Durfte man dem denn wirklich trauen?
Der fragliche Brief war dem San Francisco Police Department schon 2013 zugespielt worden, blieb aber über mehrere Jahre unter Verschluss. Der Grund dafür ist nicht bekannt, aber offenbar enthielt er genügend Informationen, um das FBI im Januar 2018 dazu zu bewegen, seine Ermittlungen in dem Fall wieder aufzunehmen. Was ist an dieser Sache also dran?

03. Der unvorstellbare Ausbruch
Alcatraz war bis zu seiner Schließung 1963 das härteste Zuchthaus der Welt. Das Hochsicherheitsgefängnis war darauf ausgelegt, die schlimmsten Schwerverbrecher davon abzuhalten, mit dem Rest der Gesellschaft irgendwie Kontakt aufzunehmen.
Viele Häftlinge von Alcatraz hatten in den 29 Jahren ihres Bestehens erfolglos versucht, von der Gefängnisinsel zu fliehen. Was machte die Geflohenen unserer Geschichte so besonders, dass sie es schafften, die strengsten Sicherheitsvorkehrungen ihrer Zeit zu überwinden?

04. Der Plan
Der Fluchtplan selbst war simpel. Was zu seiner Umsetzung notwendig war, schien allerdings praktisch unmöglich und bedurfte der Koordination eines ganzen Teams, um es durchzuziehen. Es war nicht das erste Mal, dass Häftlinge von Alcatraz so etwas versucht hatten. Dutzende Insassen hatten die Flucht bereits antreten wollen, inwiefern sollte sich dieser Plan also unterscheiden?
In der Vergangenheit hatte noch niemand einen Fluchtplan erfolgreich in die Tat umsetzen können. Von jenen, die das Risiko eingegangen waren, wurden 29 gefasst, sechs wurden auf dem Weg nach draußen erschossen, zwei ertranken und weitere zwei wurden schlicht als “vermisst und vermutlich ertrunken” verbucht.

05. Die Anfänge
Die Gruppe, welche den berühmtesten aller Fluchtpläne ausheckte, bestand aus den Brüdern John und Clarence Anglin, Frank Lee Morris und Allen West. Die vier Männer hatten ihre Zellen dicht nebeneinander, sodass sie während ihrer Zeit in Alcatraz reichlich Gelegenheit hatten, sich einen Plan zum Ausbrechen zu überlegen.
Es ist bekannt, dass John und Clarence Anglin Frank Lee Morris bereits aus ihrer Haftzeit in Atlanta kannten. Für Alcatraz würde ihr Plan allen Mut bedürfen, den sie aufbringen konnten, und außerdem alles an Material und Informationen, was sie in die Finger bekommen konnten.

06. Frank Lee Morris
Frank Lee Morris war ein Verbrechergenie, dem schon zuvor die Flucht aus dem Gefängnis geglückt war. Er war gerissen, geschickt und hochintelligent. Seit seinem elften Lebensjahr ein Waisenkind, wurde er von Pflegefamilie zu Pflegefamilie gereicht und lernte schnell, unabhängig zu sein und sich um sich selbst zu kümmern.
 Morris war aber auch ein Unruhestifter, der bereits im jungen Alter von 13 für sein erstes Verbrechen verurteilt wurde. Ihm war Großes bestimmt, jedoch nicht auf jene Weise, die man von ihm erwartet hätte. Sein Name ging in die Geschichte ein als Rädelsführer der großen Flucht von Alcatraz.

07. Nicht sein erster Aufenthalt hinter Gittern
Als Erwachsener saß Frank Lee Morris in mehreren Bundesstaaten Zeit ab und landete schließlich in der Bundeshaftanstalt Louisiana, die den Spitznamen “Alcatraz des Südens” trug. So einschüchternd das auch klingen mag, Morris hatte etwas ganz schön Beeindruckendes auf Lager.

Frank Lee Morris leistete eine zehnjährige Haftstrafe für einen Bankraub ab, doch ihm gelang das Unvorstellbare: Er entkam! Er war etwa ein Jahr lang auf der Flucht, bevor er erwischt wurde, als er erneut einen Raub ausführte. Er wurde wieder ins Gefängnis gesteckt, dieses Mal jedoch in das berüchtigte Alcatraz.

08. Die Brüder
Für einen so gewagten Ausbruch braucht man ein Team. Frank Lee Morris fand seine Gefährten kurz nach seiner Ankunft auf Alcatraz, das oft auch einfach als “The Rock” bezeichnet wurde. Das Team bestand aus zwei Brüdern namens John und Clarence Anglin sowie einem Mann namens Allen West.

Die Gebrüder Anglin wurden in Georgia geboren, später zog ihre Familie aus beruflichen Gründen nach Florida. Ihre Eltern waren saisonale Erntehelfer und zogen auf der Suche nach Arbeit umher. Jeden Juni wanderte die gesamte Familie (sie waren nur zwei von ganzen 13 Kindern) gen Norden zur Kirschenernte, was sich für die Flucht von Alcatraz noch als nützlich erweisen sollte.

09. Kriminelles Talent
John und Clarence Anglin waren schon als Kinder wie Pech und Schwefel, und sie hielten auch als Erwachsene stets zusammen. Als sie jung waren, ging ihre Familie jedes Jahr zur Kirschenernte nach Norden, bis hinauf nach Michigan. Während dieser Erntesaisonen schwammen die Brüder dann oft im Lake Michigan, und es ist überliefert, dass sie generell hervorragende Schwimmer gewesen seien.
Diese Fähigkeit sollte dem Duo später einmal sehr gelegen kommen. Im Erwachsenenalter begannen die Anglin-Brüder damit, gemeinsam Banken auszurauben. Sie wurden schließlich im Jahr 1956 bei einem ihrer Raubzüge erwischt und gefangen genommen. Doch das war erst der Anfang für die beiden.

10. Die Gruppe bildet sich
Während ihrer Zeit in der Haftanstalt von Atlanta versuchten die Anglins mehrere Male die Flucht, was dazu führte, dass sie nach Alcatraz verlegt wurden, in ein Hochsicherheitsgefängnis also. Dort trafen sie auf Frank Lee Morris, das Superhirn der Truppe.
Gemeinsam mit noch einem weiteren Insassen namens Allen West brachte die Gruppe eine ganze Menge Erfahrung im erfolgreichen und versuchten Ausbruch aus Gefängnissen mit. Fortan begannen sie, einen Plan auszuhecken, um die unmögliche Aufgabe eines Ausbruchs von “The Rock” zu bewältigen.

11. Das Sammeln der nötigen Hilfsmittel
Zu ihrem Glück war Alcatraz nicht nur ein Gefängnis, sondern auch eine Fabrik. In dem Bundesgefängnis mussten die Häftlinge arbeiten, sodass “The Rock” potentiell eine große Menge an Material für die Flucht bot. Das Gefängnis stand im Dienste des US-Militärs und fertigte Möbel, Kleidung und Schuhe.
Das Viergespann war außerdem privilegiert, weil sie zu den wenigen Kriminellen auf Alcatraz zählten, die nicht wegen Gewaltverbrechen einsaßen. Das bedeutete, dass sie unter etwas weniger strenger Aufsicht standen, weil die stets wachsamen Wärter nicht gaz so viel Augenmerk auf sie richteten.

12. Die Gegenstände
Die Gang begann nach und nach damit, ihren Plan in die Tat umzusetzen. Er war hochkomplex und kann durchaus als genial bezeichnet werden. Sie flohen nicht einfach nur von der undurchdringlichen Festung Alcatraz, sondern wollten sogar menschenähnliche Puppen als Ablenkung zurücklassen.
Als nächstes mussten sie sich eine Möglichkeit ausdenken, wie sie von den Wachen unbemerkt von der Insel kommen konnten, sobald sie aus dem Gefängnis heraus waren. Die Wachtposten von Alcatraz waren nicht so nachsichtig wie heutige Wärter es vielleicht wären. Jeglichen Fluchtversuchen wurde auf der Stelle mit scharfer Munition begegnet.

13. Die Täuschung
Jedes Teammitglied hatte seine eigene Verantwortung, um es in der Nacht der Flucht aus dem Gefängnis zu schaffen. Die Brüder waren dafür zuständig, Puppenköpfe zu basteln, die in die leeren Betten der Gangmitglieder gelegt werden sollten.

Sie gestalteten die Köpfe grob, aber wirkungsvoll mittels Seifenwachs, Klopapier und echtem Menschenhaar, das sie vom Gefängnisfriseur hatten mitgehen lassen. Morris kümmerte sich darum, ein akkordeonartiges Gerät zu bauen, mit dem das Boot und die Schwimmwesten aufgeblasen werden sollten.

14. Die Grabungen
Gemeinsam musste die Gruppe außerdem Werkzeug herstellen, mit dem sie sich aus den Zellen buddeln und die Schrauben der Lüfungsschächte lösen konnten. Erstaunlicherweise schafften sie es, aus gestohlenen Alltagsgegenständen Pickel und Schraubeschlüssel zu improvisieren, zum Beispiel mithilfe von Löffeln aus der Kantine und Holz aus der Schreinerei.

Jeden Tag zwischen halb sechs und etwa neun Uhr abends arbeiteten sie daran, die Löcher größer zu meißeln, bis sie schließlich hindurchkriechen konnten. Sie entfernten die Lüftungsgitter ihrer Zellen und verwendeten ihr Werkzeug, um die dahinterliegenden Öffnungen zu vergrößern.

15. Das zerfallende Alcatraz
Ein Vorteil für die Truppe bestand darin, dass das Gefängnis bereits alt und vielerorts baufällig war. Das Salzwasser, das durch die Rohre fürs Duschen und Abspülen lief, zerstöre diese schließlich und sickerte in die Wände der Gebäude, was zu verhängnisvollen Schwachstellen führte.

Mit der Zeit hatte das Salzwasser den Zement zersetzt, was ihn letztlich bröckelig und lose machte. Verstärkt wurde der Effekt dadurch, dass das Wasser immer leicht erwärmt wurde, damit sich die Gefangenen nicht etwa an die eisigen Fluten der Bucht von San Francisco gewöhnten.

16. Die Geräusche
Sie denken jetzt wahrscheinlich, dass doch bestimmt jemand das ganze Klopfen und Scharren gehört haben musste. Nun, leider nicht. Aufgrund von Gefängnisreformen in den frühen Sechzigerjahren wurde den Häftlingen eine Musikstunde gewährt…

…was im gesamten Zellblock zu einem ohrenbetäubenden Katzenjammer und Missklängen führte. Morris spielte lautstark sein Akkordeon, wann immer es möglich war, und die Klangkulisse reichte aus, um alle vom Graben und Hacken verursachten Geräusche zu übertönen. Hinter den Zellen lag ein unbewachter Versorgungsschacht mit Rohren, in den die Löcher führten.

17. Ein Klettergerüst
Der Versorgungsschacht war im Grunde ein unbewachtes Klettergerüst. Sollten sie die Löcher in ihren Zellen groß genug bekommen, konnten sie mit Leichtigkeit die drei Stockwerke bis aufs Dach hinauf klettern. Von da an mussten sie einfach beten.
Oben angekommen, mussten sie eine der großen Luken aufbekommen, um aufs Dach zu gelangen. Viele der Klappen waren zu ihrer Besorgnis zubetoniert. Sie fanden jedoch eine unverbaute Luke und schafften es, sie mit ihrem Schraubenschlüssel zu öffnen.

18. Das große Quetschen
Im Mai 1962 hatten es sowohl die Brüder Anglin als auch Morris geschafft, ihre Zellenwände zu durchbrechen. Die Löcher waren gerade groß genug, um ihre Körper hindurch zu quetschen, aber das reichte aus.

Es gelang ihnen, Schwimmwesten und ein Schlauchboot zu bauen, indem sie Regenmäntel vernähten und zusammenklebten. Insgesamt brauchten sie dafür über 50 Regenmäntel. Diese Gegenstände waren unerlässlich, denn ohne sie wären die Entflohenen mit Sicherheit in der Bucht ertrunken.

19. Das Signal
Jetzt wo alles fertig war, mussten sie nur noch auf Allen West warten, dessen Loch noch nicht fertig war, und die ganze Gang wäre jederzeit zum Aufbruch bereit gewesen. Das Signal kam schließlich im Juni 1962, aber der Plan sollte nicht ganz wie gewollt aufgehen.

Am 11. Juni 1962 gab der Häftling Allen West den anderen Mitgliedern der Gruppe das Zeichen zum Fluchtversuch, denn er hatte es endlich auch geschafft, die Öffnung in seiner Zelle weit genug zu vergrößern. Aber was dann geschah, hatte niemand vorhergesehen.

20. Der Plan erwacht zum Leben
Sofort nachdem an jenem Abend die Lichter ausgegangen waren, wurde der Plan zur Flucht von Alcatraz in die Tat umgesetzt. Würden sie es alle lebend nach draußen schaffen? Diese Frage dürfte ihnen immer wieder im Kopf herumgegeistert sein. Aber die Aussicht auf ein Leben in Freiheit war einfach zu verlockend.

Sie waren bereit, alles zu tun, um von Alcatraz zu entkommen, selbst wenn sie dabei ihr Leben aufs Spiel setzen mussten. Der Gedanke an die Flucht muss ihnen in jener Nacht das Adrenalin in die Adern getrieben haben. Nachdem die Lichter ausgegangen waren, machten sie sich schnell daran, ihre Puppen zu platzieren und ihre Zellen zu verlassen.

21. Der Plan geht schief
Die Gebrüder Anglin und Morris kamen ohne weiteres aus ihren Zellen, aber Allen West geriet in Schwierigkeiten. Obwohl er der Gruppe gesagt hatte, das Loch in seiner Wand sei endlich groß genug, hatte er die Öffnung wohl falsch eingeschätzt.

Frank Lee Morris tat sein Bestes, um West zu helfen, doch der Zement gab einfach nicht nach. Deshalb kamen sie überein, dass West zurückgelassen werden musste.

22. Einer bleibt zurück
Es war bestimmt keine leichte Entscheidung, ein Mitglied der Gruppe zurückzulassen, vor allem nachdem sie monatelang zusammen an dem Plan gearbeitet hatten. Aber es blieb ihnen kaum eine Wahl. Hätten sie beim Versuch, das Loch in Wests Zelle zu vergrößern, zu viel Lärm gemacht, wären die Wachen garantiert auf sie aufmerksam geworden.
West musste sich also für die anderen Opfern. Damit half er ihnen wahrscheinlich auch dadurch, dass so das Boot eine Person weniger tragen musste. Also begann die Gruppe aus nunmehr drei Männern, nach oben zu klettern. Sie kletterten an den Rohren im Versorgungsschacht etwa zehn Meter hinauf.

23. Nach unten
Morris und die Brüder gelangten relativ leicht auf das Dach des Zellblocks. Mit klopfenden Herzen schritten sie voran und überquerten 30 bis 40 Meter des Daches, von wo aus sie ihren Abstieg begannen. Die drei kletterten über 15 Meter entlang der Rohre an der Fassade des Gebäudes hinab zum Boden.
Sie erreichten in der Nähe der Duschen festen Grund und schlichen sich leise an den Wachen vorbei. Das Trio schaffte es, alle Wachtposten zu überlisten und gelangte schließlich zum Strand, wo sie anhalten und ihr Boot mitsamt den Schwimmwesten aufblasen mussten.

24. Der Alarm
Von da an sollte niemand je wieder etwas von Frank Lee Morris, John Anglin und Clarence Anglin hören. Sie stachen mit ihrem behelfsmäßigen Schlauchboot um etwa halb zwölf Uhr nachts in See und wurden danach nie mehr gesehen. Es dauerte bis zum Morgen, dass ihr Fehlen entdeckt wurde.
Frühmorgens wurden alle Insassen von Alcatraz von heulenden Sirenen geweckt. Die meisten von ihnen waren verwirrt. Es konnte ja wohl niemand versucht haben, von “The Rock” zu fliehen. Das war unmöglich. Doch sie sollten bald herausfinden, dass drei Häftlinge tatsächlich entkommen waren.

25. Endlich draußen
Allen West war zwar zurückgelassen worden, aber er hatte nicht aufgegeben. Er arbeitete weiter daran, das Loch in seiner Zelle zu vergrößern, und schaffte es schließlich doch noch, sich hindurchzuzwängen. Zufrieden rannte er den anderen drei hinterher.

West schaffte es aus seiner Zelle und kletterte aufs Dach, aber als er dort angekommen war, hatten sich seine Kameraden längst aus dem Staub gemacht. Er stand vor der Entscheidung, entweder schwimmend zu fliehen – was er nicht überlebt hätte – oder in seine Zelle zurückzukehren.

26. Warten auf den Morgen
Widerwillig entschied sich Allen West, umzudrehen und in seiner Zelle zu warten, bis am Morgen festgestellt würde, dass die anderen drei Häftlinge geflohen waren. Am nächsten Tag schrillten die Alarmglocken und das gesamte Gefängnis wurde auf den Kopf gestellt.

West kooperierte mit den Ermittlern und gestand alles. War das alles die Wahrheit, was er da sagte? Wir werden es vielleicht nie erfahren. Ihm zufolge hatten sich die anderen drei nach Angel Island aufgemacht, wo sie ein Auto und etwas Kleidung stehlen und sich dann trennen wollten.

27. Das Problem
Dabei gab es nur ein Problem. In der gesamten Gegend wurde innerhalb von zwölf Tagen nach der Flucht kein Diebstahl eines Autos gemeldet. Sie waren also entweder an einem anderen Ort gelandet, absichtlich oder ungewollt, oder Morris und die Anglin-Brüder hatten es nicht an Land geschafft.

West erklärte auch, dass der gesamte Plan seine Idee gewesen sei und er das Genie hinter dem ausgeklügelten Fluchtplan gewesen sei. Das FBI wurde herbeigerufen und man begann eine offizielle Untersuchung, um herauszufinden, ob die drei überlebt hatten oder nicht.

28. Eiskaltes Wasser
Trotz mehrerer intensiver Suchaktionen wurden keine Leichen gefunden, aber einige persönliche Gegenstände konnten am nächsten Tag aus dem Wasser gefischt werden. Die Temperatur der Bucht in der Nacht des Ausbruchs lag irgendwo zwischen vier und zehn Grad Celsius. Die Gewässer vor San Francisco sind für ihre kalte Temperatur bekannt, unabhängig von der Jahreszeit.

Experten sagten aus, dass ein erwachsener Mann unter diesen Umständen etwa 20 Minuten im Wasser hätte überleben können, bevor die Körperfunktionen zu versagen begonnen hätten. Die Insassen waren auch nicht an Kälte gewöhnt, denn das Wasser im Gefängnis wurde mit Absicht stets lauwarm gehalten.

29. Berechnung der Strömung
Etwa einen Monat nach der Flucht meldete ein norwegisches Frachtschiff die Sichtung einer Leiche etwa 17 Seemeilen von der Golden Gate Brücke entfernt. Dem Bericht zufolge trug sie Kleidung, die jener der Häftlinge von Alcatraz ähnelte. Aber die Meldung kam mit Verspätung bei den Behörden an, und die Leiche wurde nie geborgen.

Die Untersuchungen gingen noch jahrelang ohne Ergebnis weiter, und das FBI schloss die Akte schließlich mit Ende des Jahres 1979, 17 Jahre nach der Flucht. Das FBI kam zu dem Schluss, dass die Häftlinge höchstwahrscheinlich im Wasser der Bucht von San Francisco ertrunken waren. Über die Jahre tauchten jedoch immer wieder Hinweise auf, die dem Widersprachen.

30. Eine Weihnachtskarte
Der History Channel veröffentlichte 2015 eine Dokumentation mit Hinweisen auf die erfolgreiche Flucht der Anglin-Brüder. So hatte ihre Familie Weihnachtskarten erhalten, und die Handschrift darauf wurde den Brüdern zugeschrieben. Doch das Datum der Zustellung konnte nicht festgestellt werden.

Die Familie Anglin legte ein Foto von den Brüdern vor, das angeblich 1975 in Brasilien aufgenommen worden war. Forensische Experten analysierten das Bild und kamen zu dem Schluss, dass es “äußerst wahrscheinlich” John und Clarence Anglin zeigte. Doch das sollte nicht das letzte Kapitel der Geschichte bleiben.

31. Kontakt
Ein weiteres Puzzlestück kam hervor, das darauf hindeutete, dass die Flucht gelungen war, nämlich das auf dem Sterbebett abgegebene Geständnis von Robert Anglin, einem weiteren Bruder der Geflohenen. Er gab an, dass er zwischen 1963 und 1987 tatsächlich mit John und Clarence in Kontakt gestanden habe, aber dass er sie schließlich aus den Augen verloren hätte.
Die Mitglieder der Familie Anglin konnten nicht nach ihren vermissten Verwandten in Brasilien suchen, weil die große Flucht von Alcatraz nach wie vor Teil einer laufenden Interpol-Fahndung war. Hätten sie gefunden werden sollen, hätte das viele offene Fragen geklärt, aber natürlich auch zu einer strengen Bestrafung geführt.

32. Wo ist er gewesen?
Der überraschende Brief von 2013, der angeblich von John Anglin stammen sollte, schien viele der Jahrzehnte alten Gerüchte zu bestätigen, während er andere entkräftete. „Ja, wir haben es in jener Nacht alle ans Ufer geschafft, aber es war knapp!… Ich bin jetzt 83 Jahre alt und in schlechtem Zustand. Ich habe Krebs“, stand in dem Brief. „Frank ist im Oktober 2008 von uns gegangen. Sein Grab befindet sich unter falschem Namen in Argentinien. Mein Bruder ist 2011 gestorben.“

Weiter unten in dem Brief verrät der Verfasser, der sich als John Anglin zu erkennen gegeben hatte, wo er seit seiner behaupteten Flucht von Alcatraz gelebt habe. „Dies ist die wirkliche und ehrliche Wahrheit. Ich habe sieben Jahre lang in Minot, North Dakota gelebt, dann für ein Jahr bis 2003 in Fargo, North Dakota.“ Teile des Briefes waren unleserlich, aber ein Bericht der BBC interpretierte den Inhalt des Geschriebenen so, dass er “für den Großteil meiner Jahre nach der Flucht” in Seattle gelebt habe. Die weiteren Informationen des Briefes erwiesen sich als schockierende Überraschung.

33. California Dreamin’
Der scheinbar von John Anglin verfasste Brief enthielt die schlichten Worte. „Ich lebe jetzt im Süden Kaliforniens.“ War es denn möglich, dass einer der Verbrecher, denen einer der gewagtesten Gefängnisausbrüche aller Zeiten gelungen war, nun lediglich ein paar Stunden von San Francisco entfernt lebte?

Der Schreiber, der John Anglin zu sein behauptete, litt unter einem sehr schlechten Gesundheitszustand und schien wohl verzweifelt nach Hilfe zu suchen, selbst wenn das eine Rückkehr ins Gefängnis bedeuten sollte. In dem Schreiben fand sich dann auch der Versuch, einen äußerst ungewöhnlichen Deal mit dem Gesetz auszuhandeln. Würde man auf die Forderungen des Verfassers eingehen?

34. Machen wir einen Handel
Im Brief stand: „Wenn Sie im Fernsehen verkünden lassen, dass mir versprochen wird, für nicht länger als ein Jahr ins Gefängnis zu müssen, und dass mir ärztliche Hilfe zugestanden wird, werde ich mich wieder melden und Ihnen meinen genauen Aufenthaltsort nennen. Dies ist kein Scherz…“

Bevor ein solches Angebot gemacht werden konnte, mussten die Behörden den Brief jedoch genau untersuchen. Man betrachtete zuerst alle Details des Briefes selbst und analysierte sorgfältig, ob daraus irgendwelche Informationen abgeleitet werden konnten.

35. Nachforschungen werden angestellt
Auskünften von US Marshals zufolge wurde der Brief in den Laboren des FBI gründlich auf etwaige DNA-Spuren auf dem Papier und Fingerabdrücke untersucht, außerdem wurde die Handschrift analysiert und mit bekannten Mustern aller drei Männer aus ihrer Zeit hinter Gittern verglichen. Was war das Ergebnis?

Der Fernsehsender KPIX aus San Francisco, der auch den Brief veröffentlich hatte, berichtete, dass “die Ergebnisse des FBI nicht eindeutig” waren. Ein befragter Sicherheitsexperte kam zu dem Schluss, die Reaktion des FBI bedeute „Ja und nein, sodass weiterhin alles in der Schwebe ist“, was die Authentizität des Briefes angeht.

36. Keine Ruhe bis 99
Dem selben Bericht zufolge “hat der Marshals Service kontinuierlich Spuren verfolgt und wird dies auch weiterhin tun, bis die Männer erwiesenermaßen tot sind oder das 99. Lebensjahr erreichen.”

Demgegenüber sagte das FBI, als es 1979 seine Ermittlungen abschloss: „Für die vergangenen 17 Jahre ist an dem Fall gearbeitet worden, aber es kamen keine schlüssigen Beweise dafür hervor, dass die Männer noch am Leben sind, weder in den USA noch im Ausland.

37. Die U.S. Marshals reagieren
Der Brief gelangte erst ans Licht, nachdem der Fernsehsender KPIX eine Kopie davon ohne Angabe von Quellen veröffentlicht hatte. Die U.S. Marshals gaben als Reaktion darauf eine Stellungnahme ab.

„Es gibt nicht den geringsten Anlass zu der Annahme, dass sie ihren Lebenswandel ändern und völlig gesetzestreue Bürger hätten werden sollen, nachdem sie entkommen waren“, hieß es dort. Die U.S. Marshals waren die einzige Behörde, die den Fall nicht zu den Akten gelegt hatte und ihn noch immer untersuchte, ihre Schlussfolgerung hatte also durchaus Gewicht. Werden wir jemals erfahren, was wirklich geschehen ist?

38. Ein ungeklärter Fall
2014 konnte ein Team von Forschern mittels eines Computermodells berechnen, dass die drei Insassen bei einer Flucht um Mitternacht herum in eine für sie günstige Strömung geraten wären, die ein Überleben wahrscheinlich gemacht hätte. Was war also geschehen?

„Es besteht ein aufrechter Haftbefehl und der Marshals Service hat die Suche nicht aufgegeben“, sagte der Deputy U.S. Marshal Michael Dyke gegenüber NPR im Jahre 2009. Und tatsächlich kam noch mehr heraus über jene Menschen, denen die Flucht von Alcatraz gelungen war.

39. Der letzte Mann auf Alcatraz
Jim Albright, der letzte Wachmann, der Alcatraz verließ, gab gegenüber dem Lokalsender ABC 7 im März 2018 ein aufschlussreiches Interview anlässlich des 55. Jahrestags der Schließung des Gefängnisses. Zumal er in der Zeit der Flucht dort gearbeitet hatte, wurde gefragt, ob er der Meinung sei, dass die Häftlinge ertrunken seien, oder ob er dem Brief glaube.

„Das hängt davon ab, ob sie mir oder ihren Müttern glauben wollen. Ich glaube, dass sie ertrunken sind, das tue ich wirklich“, sagte Albright in dem Interview. Seiner Meinung nach war der Verfasser des Briefes, der sich als John Anglin ausgab, einfach nur jemand, der eine Behandlungsmöglichkeit für seinen Krebs suchte, nicht jedoch einer der echten Entflohenen.

40. Die Geflüchteten heute
Es ist bis heute ungeklärt, ob Frank Lee Morris, John Anglin und Clarence Anglin die Flucht von Alcatraz überlebt haben. Es ist außerdem unbekannt, ob die Behörden je versucht haben, den Verfasser des Briefes von 2013 zu kontaktieren.

Sollten die drei Geflohenen aber überlebt haben, so wäre John Anglin inzwischen 86, Clarence Anglin 87 und Frank Morris 90 Jahre alt. Trotz ihres fortgeschrittenen Alters müssten sie jedoch für zumindest zehn weitere Jahre für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden.