Cynthia Haag weigerte sich 20 Jahre lang, aus ihrem Haus in Baltimore auszuziehen. Sie wollte unbedingt an Ort und Stelle bleiben, nur für den Fall, dass ihre Tochter eines Tages zurückkommen würde. Ihre Tochter Crystal war spurlos verschwunden, als diese erst 14 Jahre alt war.

Seit Crystal verschwunden war, waren so viele Fragen unbeantwortet geblieben. Warum ist sie gegangen? Wohin ist sie gegangen? War sie in Sicherheit? Würde sie jemals wieder nach Hause kommen? Cynthia hoffte tief in ihrem Inneren, dass der lang erwartete Tag kommen und Crystal wieder auftauchen würde. Aber sie wusste nicht, dass dies tatsächlich in der Zukunft geschehen würde …

Alleinerziehende Mutter
Zu diesem Zeitpunkt, 1997, war Cynthia eine alleinerziehende Mutter von vier Kindern. Sie arbeitete rund um die Uhr als Verkäuferin in einem kleinen Laden, damit ihre Kinder Essen auf dem Tisch und saubere Kleidung hatten.

Obwohl sie bereits voll mit der Arbeit im Laden beschäftigt war, half sie auch zu Hause bei ihren Eltern aus. Die Situation war für die alleinstehende Mutter nicht sehr einfach, aber sie stand es für ihre Familie durch.

Ein ganz normaler Tag
Eines Tages, als Cynthia wie üblich in ihrem Laden arbeitete, kam Crystal herein, um Milch und Müsli zu besorgen, bevor sie wieder nach Hause ging. Cynthia dachte sich nichts dabei – es war damals nichts Außergewöhnliches.

Alles, was Cynthia zu ihrer Tochter sagte, war: „Bleib heute zu Hause“, und Crystal versicherte, dass sie das auch tun würde. Das war das letzte Mal, dass Cynthia ihre 14-jährige Tochter sah.

Nirgends auffindbar
Als Cynthia nach der Arbeit nach Hause kam, war ihre Tochter nirgendwo aufzufinden. Die besorgte Mutter rief bei Freunden, Verwandten und allen an, die wissen könnten, wo Crystal möglicherweise sein könnte.

Sie weigerte sich zu glauben, dass ihre Tochter verschwunden war. Schließlich wusste sie, dass sie keine andere Wahl hatte, als die Polizei zu rufen.
Sie musste ihre Tochter als vermisst melden. Ihre Hände zitterten bei dem Gedanken, dass ihrer Tochter etwas Schlimmes zugestoßen war.

Die Baseballkappe
Cynthias malte sich in ihren Gedanken die dunkelsten Szenarien aus. Was war mit ihrer Tochter geschehen? Hatte sie jemand entführt oder Schlimmeres? Aber Cynthia war von Natur aus optimistisch und hoffte, dass ihre Tochter eines Tages wieder auftauchen würde.

Von diesem Moment an suchte sie bei jedem braunhaarigen Mädchen, das eine Baseballmütze trug, nach dem Gesicht ihrer Crystal. „Sie trug immer eine Baseballmütze“, meinte Cynthia. Aber sie wusste, dass das nicht genug war, um sie zu finden.

Die Jahre vergingen
Zwanzig Jahre waren vergangen, als die Polizei ihre Bemühungen, Crystal zu finden, einstellte. Das Mädchen schien für immer verschwunden zu sein. Die Hoffnung, Chrystal noch lebend zu finden war sehr gering.

Eines Tages erhielt Cynthia einen Anruf von einer ihrer anderen Töchter. Sie sagte, sie habe eine Nachricht von Crystal auf Facebook erhalten. Cynthia konnte es fast nicht glauben. Ihr lange verschollenes Kind war plötzlich wieder aufgetaucht. Wie reagierte die Mutter darauf?

Unglaubliche Neuigkeiten
Cynthia fiel es schwer, den Worten ihrer Tochter Glauben zu schenken, aber als sie das Facebook-Profil sah, wusste sie sofort, dass es ihre verschwundene Tochter war. Sie erlebte in diesem Moment eine Achterbahn an Emotionen.

Innerhalb von dreißig Minuten saß Cynthia mit ihrer älteren Tochter Bianca im Auto auf dem Weg nach New York City, wo Crystal jetzt lebte. Spät in der Nacht erschien Crystal schließlich am vereinbarten Treffpunkt. Die beiden Frauen trauten ihren Augen nicht.

Wieder vereint
Crystal trug nun ihr Haar kurz, aber das war nur eine der vielen Veränderungen: Sie sprach fließend Spanisch. Sie hatte Kinder. Ihr Name war nun Crystal Sanders, und sie war nicht wie erwartet 35 Jahre alt, sondern laut ihrer Aussage 44 Jahre.

Keine dieser Veränderungen konnte jedoch das Glück der unendlich erleichterten Mutter trüben. Crystal war endlich zurückgekommen. „Immer noch mein hübsches Mädchen“, sagte Cynthia und umarmte sie. Trotz all der guten Dinge lag der schwierigste Teil noch vor ihnen.

Was war passiert?
Es stellte sich heraus, dass der Hintergrund dieser Geschichte viel mehr war, als irgendjemand ahnte. Es gab einen ganz bestimmten Grund, warum Crystal damals weggelaufen war.

Tatsächlich war sie an einem Punkt angelangt, an dem sie ihr Leben einfach nicht mehr ertragen konnte. Sie wusste, dass sie gehen musste. Aber warum? Und wohin war sie geflohen?

Die Flucht
Nachdem Crystal von Zuhause fortgelaufen war, hatte sie kaum Geld und kannte niemanden, der sie unterbingen würde. Sie wusste nicht, wohin ihre Reise führen würde. Sie wusste nur, dass sie es durchziehen musste. Es gab kein Zurück mehr!

Sie lief vor etwas Schrecklichem davon – vor jemandem, dem sie keine Sekunde länger nahe sein konnte. Sie würde das düstere Geheimnis jedoch erst viel später lüften. Zwanzig Jahre später.

Ein Neuanfang
In der Nacht, in der sie von zu Hause fortlief, schmiedete Crystal noch unterwegs einen Plan, der ihr ganzes Leben verändern sollte. Ihre erste Handlung war jedoch, in einen Bus nach New York zu steigen …

Als sie in New York City ausstieg, hieß die junge Teenagerin nicht mehr Crystal Hague sondern trug nun den Namen Crystal Saunders und war neun Jahre älter. Um dies auch nachweisen zu können, erwarb sie einen gefälschten Führerschein. Was würde sie als Nächstes tun?

Ein zweites Leben
Nachdem sie eine neue Identität erhalten hatte, verschaffte sich Crystal Gelegenheitsjobs als Putzfrau und fand schließlich eine Wohnung in der Bronx. Für ihre Nachbarn war sie eine gewöhnliche Frau. Niemand ahnte ihre außergewöhnliche Geschichte …

Wir fragen uns immer noch – wie hatte sie es überhaupt geschafft, wegzulaufen? Warum hatte sie niemand weggehen sehen? Es stellte sich heraus, dass Chrystal an alles gedacht hatte. Sie hatte ihre Flucht bis ins kleinste Detail geplant.

Umsetzung ihrer Pläne
In dieser schicksalhaften Nacht war Crystal wie an jedem anderen Abend mit ihren Freundinnen unterwegs. Sie verbrachten viel Zeit miteinander. Gegen Mitternacht war es dann endlich soweit. Chrystal lief weg und verschwand spurlos.

Sie nahm das wenige, was sie hatte, und machte sich auf den Weg zum Bus nach New York City. Und so begann sie ihr neues Leben in einer fremden Stadt, weit weg von ihrer Familie und unter einem neuen Namen.

Erstes Kind
Es dauerte nicht lange, bis Crystal mit ihrem ersten Kind schwanger wurde. Mit ihrer neuen Identität gelang es Crystal, sich eine Medicare Card zu besorgen, eine Versicherungskarte mit der man sich in den USA damals leicht ausweisen konnte.

Später bekam sie drei weitere Kinder und hatte endlich erreicht, was sie immer wollte: eine eigene kleine Familie zu gründen. Während ihres Aufenthalts in New York wurde sie auch Teil der dominikanischen Gemeinschaft.

Die Gemeinschaft
Crystal kam den Menschen in ihrer Gemeinde so nahe, dass sie einige davon sogar „Oma“ und „Cousine“ nannte. Denn obwohl sie vor ihrer eigenen Familie weggelaufen war, brauchte sie das Gefühl, eine große Familie zu haben.

Sie hatte in New York City eine ganz neue Familie gefunden. Dennoch hatte sie die ganze Zeit über mit ihrer Vergangenheit zu kämpfen. Sie wurde regelmäßig von ihr heimgesucht. Es war nicht leicht für die junge Mutter.

Neue Sprache
Im Laufe der Zeit lebte Crystal einfach ihr Leben. Sie hatte vier kleine Kinder, ihre eigene kleine Familie! Und sie lernte sogar Spanisch, das sie bald fließend beherrschte. Niemand ahnte, dass die junge Frau eigentlich aus Baltimore kam.

Obwohl sie nie mit dem Gedanken spielte, irgendwann wieder mit ihrer alten Familie in Kontakt zu treten, behielt sie diese jedoch stets dank Facebook im Auge. Doch warum hatte sie diese all die Jahre nicht kontaktiert?

Dreizehn Jahre vermisst
Im Jahr 2010 hatte man bereits 13 Jahre vergeblich nach Crystal gesucht. Die Polizei von Baltimore hatte alles in ihrer Macht Stehende versucht, um die vermisste junge Frau ausfindig zu machen, doch es war ihnen nicht gelungen. Chrystal war wie vom Erdboden verschluckt.

Zu diesem Zeitpunkt hatte die Polizei jedoch keine andere Wahl, als ihrer Mutter, Cynthia, zu informieren, dass alle Bemühungen, ihre Tochter zu finden, „erschöpft“ gewesen seien. Danach hörte Cynthia auf, Weihnachten zu feiern.

Das Leben musste weitergehen
Und so verbrachte Cynthia zwanzig Jahre, zehn Monate und zwei Wochen mit der leisen Hoffnung, ihre kostbare Tochter eines Tages wiederzusehen. Würde Crystal wieder nach Hause kommen oder der Zufall ihr helfen?

Sie weigerte sich, das Haus zu verkaufen, in dem sie wohnte. Denn, was wäre, wenn Crystal beschließen würde, eines Tages zurückzukehren wollte? Wenn sie denn überhaupt noch am Leben war …

Das Wunder
Cynthia hatte nicht die geringste Ahnung, dass ihre Tochter eines Tages tatsächlich zu ihr nach Hause kommen würde, obwohl sie es die ganze Zeit gehofft hatte. Aber das Warten sollte schließlich ein Ende haben …

Als der Tag endlich gekommen war, konnte sie nicht glauben, wen sie da vor sich sah – war es wirklich Crystal? Warum hatte sie so lange gewartet, um sich zu melden? Warum tauchte sie so plötzlich aus dem Nichts auf?

Entfremdet
Trotz der Tatsache, dass Crystal nach all den Jahren nach Hause zu ihrer Familie zurückgekehrt war, war die Situation nicht ganz einfach. Immerhin waren seit ihrem Verschwinden viele Jahre vergangen.

Bei aller Freude und Aufregung gab es immer noch etliche Fragen, die beantwortet werden mussten. Warum war Chrystal überhaupt weggelaufen? Was war damals vor 20 Jahren geschehen?

Aufbau einer Beziehung
Cynthia und Crystal erkannten bald, dass der Wiederaufbau ihrer Beziehung viel Arbeit erfordern würde. Zum einen hatten sie viel Nachholbedarf, zum anderen waren sie sich völlig fremd.

Dies war nicht mehr die junge Teenagerin, die regelmäßig in ihren Laden kam oder nachts mit ihren Freunden zusammen war. Vor ihr stand eine erwachsene Frau, die nun selbst Mutter von vier Kindern war. Wo sollten sie überhaupt anfangen?

Sie wollte den Grund wissen
Nachdem sich die anfängliche Aufregung über Crystals Rückkehr etwas gelegt hatte, konnte Cynthia sich nicht mehr zurückhalten. Sie musste es wissen. Sie musste endlich wissen, warum ihre Tochter weggelaufen war und damit die ganze Familie in ein großes Unglück stürzte.

Warum ist Crystal überhaupt fortgegangen? War es etwas, das sie als alleinerziehende Mutter zu verantworten hatte? Hatte sie ihre Tochter, ohne es zu wissen, irgendwie im Stich gelassen? Cynthia hatte Angst vor der Antwort ihrer Tochter, doch sie wollte es unbedingt wissen …

Heikle Frage
Dennoch konnte sich Cynthia noch nicht dazu durchringen, diese eine schicksalhafte Frage zu stellen. Sie wusste, dass dies eine sehr heikle Situation war und dass sie mit ihrer Frage auf den richtigen Moment warten musste.

Sie wollte Crystal nicht gleich wieder verscheuchen – schließlich war sie gerade erst zurückgekommen. Cynthia war sich nicht sicher, ob dies der richtige Zeitpunkt für eine so heikle Frage war, also ließ sie sich noch ein wenig Zeit.

Traurige Statistiken
Die Tatsache, dass Crystal nach Hause zurückgekehrt war, ist mehr als nur eine unglaubliche Geschichte – es ist praktisch ein Wunder. Denn laut Statistik war die Wahrscheinlichkeit, dass Crystal eines Tages nach Hause zurückkehren würde, sehr gering.

Jedes Jahr werden etwa eine halbe Million Kinder als vermisst gemeldet. Die meisten von ihnen werden bald darauf gefunden oder kehren von selbst zurück. Aber was geschieht mit dem Rest von ihnen?

Die übrigen Kinder
Was den Rest der vermissten Kinder betrifft, so kann es bei einer kleinen Anzahl von ihnen Monate dauern, bis sie wieder bei ihren Familien sind. Bei einer noch geringeren Anzahl kann die Suche bis zu einem oder sogar zwei Jahren dauern. Und was ist mit dem Rest?

Die letzte verbleibende Fraktion der vermissten Kinder wird in der Regel nie wieder gefunden. Es ist äußerst selten, dass ein vermisstes Kind nach Hause kommt, nachdem es so lange wie Crystal vermisst wurde.

Wiederaufbau der Beziehung
Wie wir bereits gesagt haben, wird die Situation noch komplizierter, wenn ein vermisstes Kind nach so vielen Jahren nach Hause kommt. Es ist nicht einfach, sein Leben zu Hause einfach neu zu beginnen, als ob nichts passiert wäre.

Es gibt auf beiden Seiten Gefühle, die miteinander in Einklang gebracht werden müssen – das erfordert viel Zeit und Geduld. Was wird also mit dem Mutter-Tochter-Duo geschehen? Würden die beiden sich gegenseitig für das vergeben, was vor zwanzig Jahren geschahen war?

Ein langer Zeitraum
Je länger eine Person abwesend ist, desto schwieriger wird es in der Tat, eine Beziehung zu ihr wiederherzustellen oder neu aufzubauen. Das war auch bei Chrystal und Cynthia nicht anders. Die beiden hatten sich seit zwanzig Jahren nicht gesehen.

Trotzdem war es Cynthia egal. Alles, was ihr wichtig war, war, dass ihre Tochter wieder zurückgekehrt und wohlauf war. Außerdem hatte sie mit einem Schlag vier Enkel. Was würden die beiden als Nächstes tun?

Vermisste Kinder in den USA
Lassen wir uns einen Blick auf die vermissten Kinder in den Vereinigten Staaten werfen. Es gibt unterschiedliche Kategorien, in die vermisste Kinder eingeordnet werden: Es gibt Ausreißer, Familienentführungen, verlorene oder „entsorgte“ Kinder und Entführungen von Fremden, die nicht Teil der Familie sind.

Mit der Technologie, über die wir heute verfügen, gibt es verschiedene Möglichkeiten, die Behörden zu alarmieren, wenn ein Kind vermisst wird. Aber wie viele vermisste Kinder kann es in den USA geben?

Aktive Vermissten-Fahndung
Nach Angaben des National Crime Information Center (NCIC; deutsch Nationales Kriminalitätsinformationszentrum) gibt es derzeit in den Vereinigten Staaten 87.438 aktive Vermisstenakten.

Tatsächlich sind 30.618 von ihnen Kinder unter 18 Jahren. Das sind 35 % von ihnen! Aber wie versuchen die Behörden, diese Personen aufzufinden? Obwohl der Hintergrund traurig ist, haben die USA ein geniales System für das Auffinden vermisster Kinder entwickelt.

AMBER
In den Vereinigten Staaten gibt es ein System speziell für vermisste Kinder: AMBER (AmericaMissing: Broadcast Emergency Response). „Amber Alerts“ sind Notfallmeldungen, die gesendet werden, wenn eine Polizeibehörde feststellt, dass ein Kind entführt wurde und sich in unmittelbarer Gefahr befindet.

Die Mitteilungen enthalten Informationen über das Kind und den Entführer, einschließlich körperlicher Merkmale sowie Informationen über das Fahrzeug des Entführers, die zum Auffinden des Kindes hilfreich sein können.

Vermisstenmeldungssystem
Seit 1996 gibt es das AMBER-Alarmsystem, das zum Andenken an Amber Hagerman benannt wurde, einer 9-jährigen, die 1996 in Arlington, Texas entführt und dann getötet wurde.

Von diesem Zeitpunkt an haben alle 50 Bundesstaaten, der District of Columbia, Puerto Rico und die US-Jungferninseln AMBER-Warnpläne. Dem AMBER-Warnprogramm wurde die sichere Rückführung von insgesamt 985 Kindern zugeschrieben.

Bundesgesetz
Wenn ein Kind den Behörden als vermisst gemeldet wird, schreibt das Bundesgesetz der Vereinigten Staaten vor, dass das Kind in das National Crime Information Center des FBI aufgenommen wird.

Tatsächlich gab es nach Angaben des FBI im Jahr 2019 421.394 Einträge für vermisste Kinder. Im Jahr 2018 betrug die Gesamtzahl der Einträge für vermisste Kinder noch 424.066.

Vermisste Kinder
Die Gesamtzahl der vermissten Kinder gibt die Anzahl aller Vermisstenmeldungen von Kindern an. Das bedeutet, dass, wenn ein Kind mehrmals im Jahr wegläuft, jedes Mal separat in das NCIC eingegeben und in die jährliche Gesamtsumme eingerechnet wird.

Rund 800.000 Kinder werden jedes Jahr in den USA als vermisst gemeldet – das sind etwa 2.000 pro Tag. Davon gibt es jedes Jahr 115 Fälle von Kindesentführungen durch „Fremde“. Das bedeutet, dass das Kind von einer unbekannten Person entführt wurde.

Vermisste Personen
Laut dem National MissingandUnidentifiedPersons System (NamUs) werden in den Vereinigten Staaten jedes Jahr über 600.000 Menschen vermisst. Glücklicherweise werden viele vermisste Kinder und Erwachsene schnell gefunden – lebendig und wohlauf.

94 Prozent der wiedergefundenen Kinder werden innerhalb von 72 Stunden gefunden, davon 47 Prozent innerhalb von drei Stunden. Dennoch gibt es immer noch Zehntausende von Personen, die länger als ein Jahr lang vermisst bleiben. Diese Fälle werden von den Behörden als „ungeklärte Fälle“ bezeichnet.

Nicht identifizierbar
Ungefähr 4.400 nicht identifizierbare Leichen werden jedes Jahr gefunden. Eintausend von ihnen werden auch ein Jahr später noch unidentifiziert bleiben. Hier sind einige Beispiele für einige wenige Kinder und junge Erwachsene, die schon seit Jahren vermisst werden.

Das FBI und die lokalen Behörden sind noch immer aktiv auf der Suche nach ihnen. Es stellt sich heraus, dass Crystals Mutter eine der Glücklichen war, die ihr Kind auch noch nach Jahren des Verschwindens in die Arme nehmen konnte.

Lisa Irwin
Lisa Irwin war ein 10 Monate altes Baby, das mitten in der Nacht in Kansas City aus ihrer Krippe verschwand. Das Baby wurde zuletzt schlafend in seinem Kinderbett von seiner Mutter gesehen.

Seine Mutter, Deborah Bradley, sagte, sie habe am 3. Oktober 2011 um 22.30 Uhr das letzte Mal nach dem Baby gesehen. Das Kind wird bereits seit über acht Jahren vermisst. Doch was war in den frühen Morgenstunden des 4. Oktobers geschehen?

Nachtschicht
Der Vater des Babys, Jeremy Irwin, kam am Dienstag, den 4. Oktober 2011 von einer langen Nachtschicht nach Hause und entdeckte, dass viele Lichter im Haus an waren, ein Fenster offen und die Haustür unverschlossen war.

Als er besorgt nach der kleinen Tochter im Kinderzimmer sah, entdeckte er, dass diese verschwunden war. Die Eltern riefen sofort die Polizei, um ihr Baby als vermisst zu melden. Doch würde das Baby jemals gefunden werden?

Die Polizei war misstrauisch
Nach einer ersten Befragung war die Polizei den Aussagen der Eltern gegenüber misstrauisch. Bradley sagte, die Polizei habe sie beschuldigt, ihrem Kind etwas angetan zu haben und auch einen Lügendetektortest eingesetzt.

Obwohl Bradley den Lügendetektortest nicht bestanden hatte und die Polizei einen starken Verdacht gegen die Eltern hegte, seien jedoch keine Verhaftungen vorgenommen worden. Lisa wäre im Jahr 2020 neun Jahre alt geworden. Leider ist sie nicht die Einzige, die nie gefunden wurde.

Aus der Krippe entführt
Ayla Reynolds war 19 Monate alt, als sie aus Waterville, Maine, verschwand. Dieser Fall ist nach wie vor die größte polizeiliche Untersuchung in der Geschichte des Bundesstaates und die drittgrößte in der Geschichte der Vereinigten Staaten.

Ayla Reynolds ist die Tochter von Trista Reynolds und Justin DiPietro. Am 16. Dezember 2011 wurde Ayla laut ihrem Vater nachts aus ihrer Krippe enführt. Sie soll bei ihrer Entführung einen grünen Schlafanzug mit Punkten, auf dem „Daddys Prinzessin“ stand, getragen haben.

Schlafenszeit
Der Vater sagte der Polizei, dass er seine Tochter an diesem Abend ins Bett gebracht habe. Am nächsten Tag wachte er auf, nur um festzustellen, dass seine Tochter verschwunden war.

Nach Angaben der Polizei befanden sich in dieser Nacht noch einige andere Erwachsene im Haus von DiPietro. Darunter war auch ein Nicht-Verwandter. Ayla lebte bei ihrem Vater, während ihre Mutter, Trista Reynolds, wegen Drogenmissbrauchs in der Rehaklinik war.

Offener Fall
Obwohl die Polizei erklärt hat, dass sie davon ausgeht, dass die kleine Ayla nicht entführt worden ist, und viele Indizien dafür sprechen, dass der Vater des Kindes für den Tod des Kindes verantwortlich ist, wurden bisher noch keine Verhaftungen vorgenommen.

Dennoch bleibt die Untersuchung nach Angaben des Sprechers des Ministeriums für öffentliche Sicherheit, Stephen McCausland, „offen und aktiv“. Wer weiß, vielleicht taucht sie auf wundersame Weise wieder auf. Doch leider ist sie nicht die Einzige, die noch nicht aufgetaucht ist …

Frühjahrsferien
Während einer Reise in den Frühjahrsferien, die sie ohne Wissen oder Erlaubnis ihrer Mutter unternommen hatte, verschwand die junge New Yorkerin Brittanee Drexel, die zu dem Zeitpunkt 17 Jahre alt war.

Sie verließ nach einem Streit das Bar Harbor Hotel in Myrtle Beach, South Carolina, wo sie mit ihren Freunden übernachtet hatte, um einen Freund in einem nahe gelegenen Hotel zu besuchen.

Keine Festnahmen
Seit dem Zeitpunkt ihres Verschwindens gab es keine Verhaftungen im Zusammenhang mit dem Fall. Brittanee wurde zuletzt beim Verlassen des BlueWater Resorts gesehen – wo sie von einem Überwachungsvideo aufgenommen wurde, als sie eine Gruppe von Männern aus Rochester besuchte.

Vielleicht war sie wie Crystal und hatte sich entschieden, freiwillig zu gehen? Es stellte sich heraus, dass Crystal am Tag ihres Verschwindens vorhatte, ihrer Freundin beim Babysitten zu helfen.

Ein langes Gespräch
Schließlich setzten sich Cynthia und Crystal zusammen und sprachen über das, was passiert war. Cynthia erinnerte sich an ihr viertes Kind, das süße Mädchen, das in der fünften Klasse einen Preis dafür gewann, dass es anderen immer Komplimente machte.

Sie ging gern zur Schule und kam mit allen gut aus. Sie hatte viele Freunde und wurde von allen in der Familie sehr geliebt. Cynthia konnte auch nach zwanzig Jahren keinen Grund für das Verschwinden ihrer Tochter finden. Doch was dachte Crystal darüber?

Unterschiedliche Erinnerungen
Während ihre Mutter liebevoll auf ihre Erinnerungen zurückblickte, erinnerte sich Crystal an alles ganz anders. Sie erinnerte sich daran, dass sie sich mit keinem ihrer Geschwister verstand.

Sie dachte darüber nach, wie sie sich regelmäßig hinausschlich und die Abende mit ihren Freunden verbrachte. Sie war nicht das glückliche Kind, das ihre Mutter damals in ihr gesehen hatte.

Endgültige Entscheidung
In dieser schicksalhaften Nacht wusste Crystal, dass sie fliehen musste. Sie hatte mehrmals daran gedacht, wegzulaufen, und im Geheimen Pläne geschmiedet, aber sie hatte nie den Mut gehabt, es tatsächlich durchzuziehen.

Als sie mit ihren Freunden unterwegs war, wusste sie es. „Und dann war es 24 Uhr und ich wollte nicht mehr zurück“, sagte sie. Es musste einen Ausweg aus ihrer Situation geben. Für sie war Fortlaufen die einzige Lösung.

Warten im Freien
Sie verließ ihr Zuhause, ging zum Haus ihrer Freundin und „entschied sich, draußen zu warten“, während ihre Freundin die Kinder versammelte. Dies war das letzte Mal, dass ihre Freunde und Verwandten über ihren Verbleib Bescheid wussten. Als die Freundin herauskam, war Crystal bereits weg.

Trotz der Tatsache, dass Crystal nirgendwo zu finden war, nahm ihre Freundin an, dass „sie einfach beschloss, wegzugehen“. Sie wussten noch nicht, dass Crystal vermisst wurde. Einige Stunden später erhielt diese Freundin einen Anruf von Crystals Mutter, die auf der Suche nach ihrer Tochter war.

Verschwinden
„Zum Zeitpunkt ihres Verschwindens war Crystal zwischen 1,63 m und 1,68 m groß und wog ca. 64 kg. Sie hatte hellbraunes Haar und braune Augen. Normalerweise trug sie ihr Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.

Sie trug ein grau-rot gestreiftes Tommy Hilfiger-Hemd, eine blaue Jeans, weiße Fußballsocken, graue New Balance-Turnschuhe und einen goldenen C-förmigen Ring. Dies sind die Informationen, die über Crystal und ihr Verschwinden bekannt waren.

Es kommt häufig vor
Schnell kamen die örtlichen Behörden zu dem Schluss, dass Crystal das Haus freiwillig verlassen hatte. Sie nannten sie offiziell eine Ausreißerin und hofften, dass sie eines Tages von selbst auftauchen würde.

Dies kam der Polizei recht gelegen, da diese Fälle zu jener Zeit sehr häufig vorkamen. Etwa eine Million junger Menschen liefen jedes Jahr von zu Hause weg. Und Crystal war nur eine weitere Zahl in der Statistik.

Ausreißerin
Crystal sofort als Ausreißerin abzuschreiben, erwies sich als großer Fehler. Damit wurde ihrer Familie die einzige Chance genommen, sie zu finden. Denn wie viele wissen, kommt es besonders auf die ersten 48 Stunden nach dem Verschwinden an.

Erst einige Monate später wurde Crystals Status in „Vermisst und stark gefährdet“ geändert. Dieser Status bedeutete, dass die vermisste Person womöglich in Lebensgefahr schwebt. Nachdem Crystal gefunden wurde, waren alle beruhigt.

Unglaubwürdig
Crystals Geschichte war jedoch alles andere als gewöhnlich. Es gab eine überraschende Wendung in dem Fall, die einige skeptische Online-Nutzer dazu brachte, ihn als „unglaubwürdig“ zu bezeichnen.

Mehr als 20 Jahre nach ihrem Verschwinden war Crystal wohlbehalten wieder aufgetaucht. Und außerdem hatte sie noch vier eigene Kinder, hatte ihren College-Abschluss gemacht, und sprach fließend Spanisch. Unfassbar!

Ein Jahr nach dem Verschwinden
Nur ein Jahr nach ihrem Verschwinden, 1998, wurde Crystal in das City College of New York aufgenommen. Während sie 2002 ihren Bachelor-Abschluss in Betriebswirtschaft machte, suchte die Polizei zu jeder Sekunde bei Tag und Nacht nach ihr.

Ein Jahr nach ihrem College-Abschluss wurde Detective Terrence Parker mit dem Fall Crystal betraut. Zu diesem Zeitpunkt war der Fall „einer von 48 ungeklärten Fällen, die aktiv von der Vermissteneinheit der Polizei von Baltimore City untersucht werden“, wie es in einem Artikel von ABC2 News aus dem Jahr 2011 heißt.

Keiner hatte etwas gesehen
„Normalerweise bekommen wir in Fällen wie diesem einen Hinweis“, sagte DetectiveParker. „Jemand würde sagen: ‚Oh ja, wir haben sie hier gesehen‘, oder ‚Wir wissen, dass sie bei soundso war‘. Aber, wir haben wirklich keinen einzigen Hinweis bekommen.“

Ohne die notwendigen Informationen über den Fall entschied sich der Kriminalbeamte Parker, bei Null anzufangen, „als ob es ein ganz neuer Fall wäre“. Nach einer erneuten Befragung von Crystals Familie und Freunden sprach der Detektiv auch mit Nachbarn und nahm die Hilfe der NamUs und des Zentrums für vermisste und ausgebeutete Kinder in Washington, D.C., in Anspruch.

Abteilung für vermisste Kinder
Der Leiter der Abteilung für vermisste Kinder, Robert Lowery, sagte über die Arbeit der Organisation: „Bis etwa 1982 waren die Strafverfolgungsbehörden nicht einmal verpflichtet, ein vermisstes Kind in die Datenbank einzugeben.“

„Obwohl wir gestohlene Autos aggressiv oder gestohlenes Eigentum über Seriennummern oder die NCIC-Datenbank verfolgen, haben wir Kinder nicht auf die gleiche Weise behandelt wie Eigentum“.

Nicht wiederzuerkennen
Der Gerichtsmediziner von NCMEC, Stephen Loftin, fertigte ein Bild davon an, wie Crystal im Alter von 26 Jahren aussehen würde. Er konnte jedoch nicht ahnen, dass Crystal ihre langen Haare damals bereits kurz trug, um nicht erkannt zu werden.

Kommissar Parker, der mit Crystals Mutter oft „über ihre Hoffnungen und Ängste“ sprach, meinte 2011, dass sie ihre Tochter „wahrscheinlich nicht einmal erkennen würde, wenn sie diese sehen würde“.

Der Kampf ihrer Schwester
In jenem Jahr versprach der Kriminalbeamte: „Wir werden weiter suchen und kämpfen und alles tun, was wir tun können, um Crystal nach Hause zu ihrer Familie zu bringen.“ Während all dies geschah, führte Crystals Schwester, Bianca Davis, ihren eigenen Kampf gegen die Medien, die ihrer Schwester keinerlei Beachtung schenkten.

Fast jedes Jahr zum Geburtstag ihrer Schwester postete sie ein Foto von Crystal auf ihrer Facebook-Seite. Bianca wusste kaum, dass ihre Schwester nur 4 Stunden von ihr entfernt in New York City wohnte …

Neue Identität
Nachdem Crystal ihr die Haare kurz geschnitten hatte, nahm sie eine neue Identität an. Sie änderte jedoch nur ihren Nachnamen, damit sie sich leichter an ihr neues Leben gewöhnen konnte.

Alles, was Crystal damals änderte, waren kleine Einzelheiten – ihr Alter, ihr Nachname und die Länge ihrer Haare. Sie musste die Dinge subtil halten, damit der Plan wirklich funktionieren konnte.

Keine Familie
Crystal konnte erfolgreich abhauen, indem sie ihr Alter um 9 Jahre anhob – aber wie kam sie damit durch? Nun, sie damals viel älter aus, als sie tatsächlich war. Statt 14 wurde sie über Nacht 23. Nicht lange danach wurde sie auch mit ihrem ersten Kind schwanger. Was ihre Familie betrifft, würde man sie nicht danach fragen?

Crystal sagte den Leuten einfach, dass sie keine Familie hatte. Oftmals wollten die Leute nicht weiterfragen. „Es ist nicht selten, dass man keine Familie hat“, sagte sie. Sie löste sich vollständig von ihrer alten Familie und tauchte in eine neue Gemeinschaft ein.

Sie lernte Spanish
Während ihrer Zeit in New York lebte Crystal in einer eng verflochtenen dominikanischen Gemeinschaft. Sie kam ihnen so nahe, dass sie Spanisch lernte, dass sie bald fließend sprach.

Sie hatte eine eigene Familie gegründet und eine neue Identität übernommen und damit die alte vollständig aufgegeben. Dennoch wusste Cynthia noch nicht, warum sie eigentlich abgehauen war.

Die traurige Erklärung
Schließlich gab Crystal nach. Sie erzählte ihrer Mutter die Wahrheit hinter dem Grund für ihr Verschwinden. Als sie gerade erst 9 Jahre alt war, hatte ein Nachbar begonnen, sie sexuell zu belästigen.

Dies setzte sich in den nächsten Jahren fort.Tatsächlich geschah es so oft, dass das kleine Mädchen anfing zu denken, es sei normal. Doch eines Tages merkte sie, dass sie einen Ausweg aus ihrer Situation finden würde und plante erstmals ihre Flucht.

Unfassbar
Cynthia saß schockiert da und sagte. Sie konnte nicht glauben, dass sie sich nicht bewusst war, dass ihrem kleinen Mädchen so etwas passiert war. Wie konnte etwas so Schreckliches so lange andauern, ohne dass sie davon wusste?

Crystal war sich damals sicher, dass ihre Mutter von der ganzen Sache gewusst hatte, aber es stellte sich heraus, dass sie keine Ahnung hatte. Wenn sie ihr damals davon erzählt hätte, wären die Dinge vielleicht ganz anders verlaufen …

Nur ein Ausweg
Es stellte sich heraus, dass Crystal damals so sehr litt, dass der einzige Ausweg, den sie sich vorstellen konnte, darin bestand, wegzulaufen und einfach zu verschwinden. Nichts anderes ergab für die damalige Teenagerin einen Sinn.

Cynthia saß dort, hörte ihrer Tochter zu und weinte leise. Was für eine Mutter war sie, dass sie von all dem nichts mitbekommen hatte?

Zum Glück hatte es das Schicksal gut gemeint und ihrer Tochter ein zweites Leben geschenkt …