Für Menschen mit Zerebralparese kann alles vom Zähneputzen über das Schreiben einer Notiz bis hin zum Schuhebinden ein unvorstellbarer Kampf sein. Lee Bondurant, der mit der angeborenen Störung lebt, und seine Mutter Linda sind sich dieser Schwierigkeiten sehr bewusst.

Die beiden feierten kürzlich Lees Geburtstag mit einem Abendessen in Raleigh, North Carolina, als Lee Probleme bekam seine Hände zu benutzen. Das war nicht ganz ungewöhnlich. Was ungewöhnlich war, als jemand zu seinem Platz ging und etwas tat, das alle am Tisch verblüffte.

Leben mit Zerebralparese

Das Leben mit dieser Behinderung kann selbst die einfachsten Aufgaben unglaublich schwierig machen. Das wusste der 51-jährige Lee Bondurant nur zu gut. Nachdem er sein ganzes Leben mit der Krankheit verbracht hatte, akzeptierte er diese unglückliche Tatsache.

Im Laufe der Jahre hatte Lee gelernt mit der tückischen Krankheit zu Leben. Er hatte einen Freundeskreis und Familie, die ihn dabei unterstützen ein eigenständiges, selbstbestimmtes  Leben zu führen, so weit die Krankheit dies eben zuließ.

Lebensmut trotz der Krankheit

Obwohl er sich entschied, sich nicht auf seine angeborenen Störung reduzieren zu lassen, war sich Lee bewusst, dass diese eine zentrale Rolle in seinem Leben spielte. Auch bei seinem Job im Supermarkt, bei Krogers.

Er hatte seine guten und seine schlechten Tage, und er hatte gelernt, sich davon nicht unterkriegen zu lassen. Seine Arbeitskollegen waren stets freundlich und hilfsbereit, bewunderten seine gute Laune und seine positive Energie, mit der er jeden Tag zu seiner Schicht kam.

Ein unvergesslicher Geburtstag

Als er kürzlich Geburtstag hatte, beschloss er diesen gemeinsam mit seiner Mutter Linda, einigen Familienangehörigen und Freunden zu feiern. Sie beschlossen in die 42nd Street Oyster Bar in seiner Heimatstadt Raleigh, in North Carolina, zu gehen.

Was er bei aller Vorfreude auf den Abend nicht geahnt hatte: es begann einer seiner schlechten Tage. Und dann aber, wurde es einer der wichtigsten Tage seines Lebens. Doch dazu gleich mehr…

Körperlich eingeschränkt – aber ein mutiger Geist

Zerebralparese führt dazu, dass Betroffenen die Hände zitterten. Alltägliche Aufgaben, ein Glas Wasser halten, eine Gabel zum Mund führen, ein Handy bedienen, werden schier unmöglich. Für die Betroffenen eine frustrierende und demütigende Situation.

Lee war jedoch nicht bereit, sich davon unterkriegen zu lassen. Im Gegenteil. Er tat, was sich nur wenige gesunde Menschen trauen. Er beschloß einen Fallschirmsprung zu wagen und er fand sofort Unterstützer!

Der Abend, der Lees Leben veränderte

Zurück in die Oyster Bar. Dort verwandelte sich Lees Geburtstagsessen schon kurz nach Beginn des Abends in eine kompliziertere Aufgabe. Seine Hände zitterten, er konnte sein Besteck nicht mehr selbst benutzen, geschweige denn zum Mund führen.

Seine Mutter war zwar bei ihm und half ihm, doch dadurch kam sie nicht mehr dazu, ihr Essen zu genießen. Das war für Mutter und Sohn nichts ungewöhnliches. Schon viele Male hatte seine Mutter ihre eigenen Interessen zurückgesteckt. Sie liebte Lee und würde alles für ihn geben. Jeder weiß: ein kaltes Abendessen ist für eine Mutter eine unbedeutende Kleinigkeit.

Der rettende Engel

Dann jedoch passierte etwas, das so noch nie vorgekommen war. Ihr Kellner, ein College-Student mit dem Spitznamen “Five”, bemerkte die Situation, die sich an Lees Tisch zu entfalten begann.

Zuerst befürchtete Lee, es käme wieder die übliche Frage, ob man einen Arzt rufen sollte. Auch der Hinweis, dass andere Gäste sich belästigt fühlten, war ihnen schon das eine oder andere Mal zugetragen worden. Doch Fives Reaktion konnte niemand im Restaurant vorhersagen.

Mitgefühl

“Er kam ganz beiläufig an den Tisch und fragte Lee, ob er jemals Austern gegessen hätte. Und Lee verneinte das natürlich.”, erinnerte sich Linda, seine Mutter. “Da fragte Five einfach, ob er ihm seine ersten Austern servieren dürfe”, schwärmt Linda.

Es war unglaublich mitfühlend formuliert, um Lee nicht in Verlegenheit zu bringen. Es dauerte nur wenige Augenblicke, und Five kam mit einem Tablett frischer Austern zurück an den Tisch. Und als wäre es das Normalste der Welt, half er Lee beim Essen.

Eine sichtlich ergriffene Mutter

Linda war einfach nur verblüfft von Fives herzlicher Art und Großzügigkeit. “Dass ein völlig Fremder auftaucht und auf so liebenswerte Weise hilft, das berührt das Herz einer Mutter ganz tief, besonders wenn ihr Kind besondere Bedürfnisse hat”, erklärte Linda später.

Sie schilderte, dass viele Menschen im Alltag hilfsbereit seien und sowohl Lee als auch sie für die vielseitige Art an Unterstützung immer sehr dankbar seien. Es gäbe natürlich auch Negativbeispiele, dummes Starren, herzlose Sprüche und Menschen, die sich auf Kosten ihres Sohnes lustig machen.

Herausragend, herzlich, hilfsbereit

Aber eine Herzlichkeit wie von Five war ihnen noch nicht begegnet. Als ob es nichts wäre, hatte der geschäftige Kellner mit seiner Arbeit aufgehört, sich einen Löffel geschnappt und angefangen, Lee zu füttern.

Lee, der sich den ganzen Tag so auf seine Geburtstagsfeier und das Essen gefreut hatte, der nach dem Anfall kurz davor war zu weinen, war jetzt plötzlich glücklich wie nie zuvor. Fives Hilfe war weit entfernt von der Jobbeschreibung eines Kellners und Lees Mutter war einfach fassungslos.

Five achtete auf Lees Würde

Fives Freundlichkeit bewegte auch Lee tief. Er war sich bewusst, dass die meisten Leute lieber weitergezogen wären, als ihm zu helfen. Offensichtlich war dieser Kellner etwas Besonderes. Ein empathischer Mensch, dem seine Mitmenschen nicht egal waren.

Auch heute hat Lee Freudentränen in den Augen, wenn er über den Abend spricht, wenn er an Five denkt. Momente wie dieser seien es, die ihm auch in den dunkelsten Momenten seiner Krankheit immer wieder Mut spendeten und Kraft geben, weiter zu machen.

Helfen, das von Herzen kommt

Das Beste von allem ist, dass Five es auf eine Weise angegangen ist, die Lee nicht demütigte oder in Verlegenheit brachte! Es war die allgemeine Professionalität des Kellners, die das Geburtstagskind und seine Mutter während ihrer großen Feier am meisten beeindruckte.

In keinem Moment hatte Lee das Gefühl minderwertig oder unfähig zu sein und sich dafür schämen zu müssen. Five unterhielt sich mit ihm, wie mit jedem anderen Gast im Restaurant und er schaffte es, das Füttern so normal wirken zu lassen, wie das Platzieren eines Tellers bei den anderen Gästen am Tisch.

Man kann beim Helfen Fehler machen und Scham auslösen

Lee war es gewohnt, Dinge für sich selbst zu besorgen, und normalerweise lehnte er diese Art von Unterstützung ab. Fives echte Herzlichkeit war aber schwer abzulehnen. Doch wie reagierten andere, als sie von dieser Geschichte hörten?

Das Restaurant war an diesem Abend vollbesetzt gewesen. Weder Lees Anfall noch die Unterstützung durch seine Mutter und später durch Five waren den anderen Gästen verborgen gewesen. Wie meistens gab es staunende Gesichter und Getuschel.

Das tolle Erlebnis online teilen

Als sie nach Hause zurückkehrten, teilte Linda das Bild ihres Sohnes und des Kellners auf ihrer Facebook-Seite. Es dauerte nicht lange, bis die Leute begannen, ihren Respekt für das auszudrücken, was Five getan hatte. Sogar die lokalen Nachrichtenmedien waren an einem Interview interessiert!

Die Geschichte war herzerwärmend. Es tat gut zu lesen, dass es noch hilfsbereite Engel gab. Linda wollte auch anderen Familien Mut machen, die Scham zu überwinden und der Welt zu zeigen, dass dies eben ein ganz normales Essen unter Freunden war, wenn man an Zerebralparese erkrankt war.

Ultimative Freundlichkeit

Lee bestand darauf, alle wissen zu lassen, wie dankbar er Five für diesen Abend war. “Das war die ultimative Freundlichkeit, die er mir erwiesen hat”, sagte er gegenüber Reportern. “Ich weiß wirklich zu schätzen, was er getan hat, ein Akt echten Mitgefühls.”

Viele Menschen hätten Mitleid mit ihm. Das bringe ihn nicht weiter. Er fühle sich dann regelmäßig schlecht. Bedauert zu werden fühle sich nicht schön an. Echtes Mitgefühl hingegen, Anteilnahme, Herzlichkeit und Unterstützung seien sein Antrieb weiterzuleben.

Ein begeisterter Chef

Five war nicht bei der Arbeit, als Reporter in der 42. St. Oyster Bar vorbeischauten. Sein Chef betonte aber, dass er stolz auf seinen Mitarbeiter war. “Wir haben das Glück, dass jemand wie Five für uns arbeitet”, sagte Manager Ryan Tyson.

Sein Restaurant lebe von Stammkunden. Da sein ein freundschaftlicher, aufmerksamer, hilfsbereiter Umgang mit den Gästen sehr wichtig. So mitfühlend wie Five wäre aber noch nie ein Kellner gewesen. Das sei nichts, was man in der Ausbildung lernen könne. So etwas komme von Herzen.

Ein neuer Stammgast

Lee ist seit diesem Abend natürlich auch ein Stammgast. Wann immer er die Möglichkeit hat und sich einen schönen Abend bei hochwertigem Essen leisten kann, besucht der die 42nd St. Oyster Bar.

Der Abend hat Lee geholfen, seinen Ärger, seine Wut und seine Frustration über schlechte Tage auszuhalten. Wann immer er wieder einen besonders schlimmen Anfall hat, erinnert er sich an die Herzensgüte von Five.

Der überraschte Helfer

Als Five, der keine Social-Media-Accounts hat, schließlich erfuhr, dass sein Foto mit Lee viral ging, konnte er die Flut an Unterstützung nicht fassen. Leute aus der ganzen Welt schrieben ihm sogar Briefe!

Einige dieser Leute haben Five angeboten, auf eine Weise zu helfen, die er nie hätte erwarten können. Da er ein bescheidener Mann war, lehnte er natürlich schnell ab. „Ich gehe zur Tankstelle und jemand will mir Benzin kaufen, ich sage natürlich “Nein!‘”, lacht er.

Immer noch bescheiden

Trotz all des Presserummels, der Fanbriefe und der vielen Hilfsangebote, blieb Five unglaublich bescheiden. Das, was er an diesem Tag für Lee getan hatte, will er keinesfalls als Heldentat bezeichnet wissen.

“Meeresfrüchte werden am besten heiß gegessen, also wollte ich nicht, dass ihr Essen kalt wird. Ich wollte nicht, dass Lisas Essen kalt wird und ich wollte nicht, dass Lees Essen kalt wird“, sagte er, während er sein Mitgefühl herunterspielte. “Ich wollte nur einem Mitmenschen helfen.”

Glückliche Abende

Seit diesem Geburtstagsessen ist Lee einige Male in die 42nd St. Oyster Bar zurückgekehrt, um seinen neuen Freund zu besuchen. Jedes Mal, wenn sie sich sahen, hatte Lee die Gelegenheit, seinem Lieblingskellner zu sagen, wie viel er ihm bedeutete.

Zum Glück erlaubte ihm seine Krankheit zuletzt besonders angenehme Abende, in denen er ohne fremde Hilfe sein Essen genießen konnte. Five läßt aber klar erkennen, dass er an einem schlechten Tag nicht zögern würde, Lee wieder beim Essen zu helfen.

Eine lebenslange Freundschaft

Obwohl Five nicht unbedingt damit gerechnet hatte, einen lebenslangen Freund zu finden, als er anbot, Lee an diesem Abend beim Essen zu helfen, schien genau das passiert zu sein. Es zeigt nur, wie ein wenig Freundlichkeit das Leben eines Menschen in vielerlei Hinsicht verändern kann!

Das sollte uns allen Mut machen über unseren Schatten zu springen. Zu helfen, wenn jemand unsere Hilfe benötigt, um dabei dem anderen seine Würde lassen. Ein “Warten Sie, ich helfe Ihnen!” mag lieb gemeint sein. Mit einem ruhigen, einfühlsamen “Darf ich Ihnen helfen?” fühlen sich Menschen aber oft viel wohler.