Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit. Carolyn war fassungslos, als sie ihren Irrtum erkannte. Die letzten Wochen hatte sie versucht Matt zu hassen, doch jetzt, hier im Gericht, erkannte sie, dass er nur ein armes Würstchen war.

Gleichgültig betrachtete Carolyn die Schweisstropfen, die sich auf Matts Stirn bildeten. Die Verhandlung lief eindeutig nicht so, wie er sich das vorgestellt hatte. Er hatte Ihr ewige Liebe versprochen, doch immer nur seine eigenen Ziele im Sinn gehabt. Aber wir sollten am Anfang beginnen.

Zurück auf Anfang

Der Anfang lag nun acht Jahre zurück. Carolyn hatte ihr Studium als Jahrgangsbeste abgeschlossen, fand aber keinen Job. Es gab zwar interessante Stellen, doch alle Arbeitgeber forderten Berufserfahrung.

Nach einigen deprimierenden Monaten mit Absagen oder – noch schlimmer – völligem Schweigen, beschloss Carolyn sich trotz ihres Studiums auf eine Sekretärinnen-Stelle zu bewerben.

Ein ganz normaler Chef

Matt erkannte sofort, dass Carolyn die ideale Bewerberin war. Er suchte nicht einfach eine Sekretärin, die Kaffee kochte. Er forderte eigenverantwortliches Handeln, Mitdenken, Engagement.

Kurzum: er suchte eine Frau, die im Hintergrund alle Arbeit erledigte. Das hatte er schon immer so gehalten. Seine Sekretärinnen erledigten die Arbeit, er strich auf Präsentationen und in Meetings das Lob ein – und die Beförderungen.

Respekt und Wertschätzung

Carolyn war begeistert. Sie hatte befürchtet, in einer langweiligen Sekretärinnen-Stelle zu enden und den ganzen Tag Kaffee zu kochen. Sie sah sich schon todunglücklich und deprimiert in einem ungeliebten Job versauern.

Dass sie sich und ihr Wissen voll einbringen durfte, gab ihr Auftrieb und Hoffnung. Vielleicht würde sie ja eines Tages ins Management wechseln. Berufserfahrung konnte sie in den folgenden Jahren jedenfalls sammeln.

Ein Dream-Team

Carolyn und Matt schienen ein regelrechtes Dream-Team zu sein. Sie fand selbst für die kompliziertesten Aufgaben eine nachhaltige Lösung. Er wusste diese Lösungen zu verkaufen.

Die Gehaltserhöhungen gingen natürlich ausschließlich an Matt. Warum sollte man einer Sekretärin mehr Gehalt zahlen, nur weil ihr Chef so erfolgreich war? Doch das störte Carolyn nicht. Sie genoß Matts Wertschätzung.

Mehr als ein Arbeitsverhältnis

Carolyn und Matt machten regelmäßig lange Überstunden. Was keiner wusste, nicht einmal Carolyn: Matt sass dabei in seinem Büro und pflegte seine LinkedIn-Kontakte. Er war schlau genug um zu erkennen, dass er zumindest mit im Büro anwesend sein musste, während seine Sekretärin die Arbeit erledigte.

Aus dieser Nähe entstanden gemeinsame Pizza-Essen im Büro. Dann Pizza-Essen beim Nobelitaliener. Und schließlich private Einladungen zu Tiefkühl-Pizza aus dem 8.000 Euro teuren Backofen in Matts Junggesellenbude.

Respekt, Wertschätzung und Liebe

Carolyn hatte das Gefühl, auf Wolken zu schweben. Konnte das Leben wirklich so wundervoll sein? Eine erfüllende Arbeit. Respekt und Wertschätzung für die – zugegeben sehr hohe – Arbeitsleistung. Und nun auch noch Liebe?

Was anderes konnte es sein? Matt war herzlich und liebevoll ohne Carolyn auch nur im entferntesten zu bedrängen. Er überließ es ihr, das Tempo zu setzen, zeigte aber deutlich, dass er die gemeinsame Zeit genoss.

Die doppelte Beförderung

Einige Wochen später war Carolyn von Matts Liebe restlos überzeugt. Matt war eine Beförderung angeboten worden und er hatte darauf bestanden, dass Carolyn ihn als seine Sekretärin begleitete – inklusive einer Gehaltserhöhung.

Carolyn konnte darin nichts anderes sehen als den Beweis der unermesslich großen Liebe, die Matt ihr gegenüber stets beteuerte. Tatsächlich wusste Matt, dass er in seiner neuen Position aufgeschmissen wäre, ohne Carolyns Fachkenntnisse.

Lob von allen Seiten

Das Dream-Team war auch nach der Beförderung außergewöhnlich erfolgreich. Carolyn arbeitete nun in dem Fachgebiet, über das sie ihre Masterarbeit geschrieben hatte und Matt wurde für “seine” Leistungen täglich mit Lob überschüttet.

Die ständige Beweihräucherung schien Matt allerdings nicht gut zu tun. Carolyn bemerkte, wie er gegenüber Kollegen immer aroganter und herablassender wurde. Termine bei Matt waren ähnlich schwer zu bekommen, wie eine Audienz beim Papst.

Das Meeting, das alles veränderte

So kam es, dass Matt ein Meeting an Carolyn delegierte. Das war noch nie vorgekommen. Matt genoss es viel zu sehr, sich im Glanze von Carolyns Arbeit zu sonnen. Doch dieses Meeting war eine Einführung für Praktikanten – und somit gefühlt unter Matts Würde.

Was Matt nicht wusste – da ihm andere Menschen egal waren: der oberste Chef seiner Firma (Herr Dr. Wagenthal) legte großen Wert darauf neue Praktikanten persönlich durchs Unternehmen zu führen. So kam es, dass er im Vortrag sass und zuerst einmal sichtlich erstaunt war, dass Matt ohne Absprache nur seine Sekretärin geschickt hatte.

Mein bester Mann

Dr. Wagenthal war verärgert. Eben hatte er den Praktikanten angekündigt, sie würden gleich seinen besten Mann kennenlernen, und jetzt sollte er einer Sekretärin zuhören? Matt würde später eine gute Erklärung ablieferen müssen.

Während Dr. Wagenthal sich noch ärgerte, unterbrach eine der Praktikantinnen Carlony Vortrag mir einer komplizierten Zwischenfrage. Dr. Wagenthal lächelte in sich hinein. “Jetzt ist die Sekretärin aufgeschmissen. Das werde ich Matt ordentlich unter die Nase reiben.”

Immer die richtige Antwort

Doch Carolyn beantwortete die komplizierte Frage mit wenigen, klaren Sätzen. Sie hatte ja eine Masterarbeit über dieses Thema geschrieben und hatte jahrelang über die Zusammenhänge geforscht.

Dr. Wagenthal war verwirrt. Er hatte die Sekretärin unterschätzt. Offenbar hatte er auch Matt unterschätzt. Der schien ja nicht nur ein Experte in seinem Fachgebiet zu sein, er schien auch noch ein Meister in der Auswahl seiner Mitarbeiter. Wo hatte er eine Sekretärin gefunden, die eine derartige Fachkenntnis hatte?

Ein Verdacht keimt auf

Nach dem Meeting erzählte Dr. Wagenthal seiner Sekretärin Frau Traube voller Begeisterung, welch eine geschickte Hand Matt bei der Auswahl seiner Mitarbeiter hatte. Frau Traube zog skeptisch eine Augenbraue hoch und sagte:

“Das wusste ich schon lange. Viele im Betrieb munkeln sogar, es wäre Matts einziges Talent.” Dr. Wagenthal lächelte kurz, war sich dann aber nicht sicher, wo hier die Pointe liegen sollte und ging in sein Büro.

Der Chef des obersten Chefs

Man sagt, hinter jedem erfolgreichen Mann stehe eine starke Frau, die ihm den Rücken frei hält. Bei Dr. Gerd Wagenthal war das nicht anders. Seit nunmehr 23 Jahren war er mit Gudrun verheiratet. Glücklich, wie er stets betonte.

Tatsächlich hatte Gudrun viel Einfluss auf ihren Mann. Die Praktikanten zu begleiten, war auch eine ihrer Ideen. “Deine Mitarbeiter sind Dein Vorsprung vor der Konkurrenz.” sagte sie gerne. Dr. Wagenthal war stets gut gefahren, wenn er die Gedanken seiner Frau umgesetzt hatte. Sie war seine wertvollste Beraterin. Manche im Betrieb witzelten, sie wäre die Chefin des Chefs.

Ein Gespräch ohne Vorurteile

Dr. Wagenthal kam bestens gelaunt nach Hause und erzählte Gudrun von dem überraschenden Meeting mit Matts Sekretärin. Er lobte Matt über den grünen Klee für sein Talent, die richtigen Mitarbeiter auszuwählen.

Gudrun freute sich mit ihrem Mann. Sie wollte gerne mehr über diese Sekretärin erfahren. Eine so talentierte Mitarbeiterin war doch im Management viel besser aufgehoben. Während sie ihrem Mann zuhörte, suchte sie Carolyns Profil auf LinkedIn.

Bestechende Qualifikation

Staunend sah Gudrun dass Carolyn nicht einfach eine Sekretärin war. Sie hatte Ihren Master als Jahrgangsbeste abgeschlossen. Sie war eine Fachkraft, der alle Konkurrenten ihres Mannes sofort einen Job im Management anbieten würden.

Matt musste wirklich ein Händchen für die Auwahl von Mitarbeitern haben. Gudrun suchte jetzt sein LinkedIn-Profil und staunte abermals. Da waren keine Angaben zu Schulbildung, Ausbildung oder Qualifikationen und anstelle von Fachartikeln bestanden seine Posts aus belanglosen Zitaten großer Unternehmer.

Ein neuer Blickwinkel

Gudrun zeigte ihrem Mann, was sie entdeckt hatte. Auch Dr. Wagenthal staunte. Der Kommentar von Frau Traube kam ihm wieder ins Gedächtnis: “Viele im Betrieb munkeln sogar, es wäre Matts einziges Talent.”

Dr. Wagenthal musste sich setzen. Die gute Laune war verschwunden. Besorgnis breitete sich aus. Hatte er sich von Matt all die Jahre täuschen lassen. Wurde er von seinem besten Mann schamlos hinters Licht geführt?

Neue Beweise

Er schickte Frau Traube eine SMS: “Morgen früh, Prio 1: Personalakte Matt auf meinem Schreibtisch”. Am anderen Ende der Stadt hörte Frau Traube das Piepen ihres Handys, las die Nachricht und lächelte. Endlich!

Am nächsten Morgen lag eine ausgesprochen dünne Personalakte auf Dr. Wagenthals Schreibtisch. Keine Bewerbungsunterlagen, keine Zeugnisse, keine Masterarbeit. Nur ein Arbeitsvertrag und diverse Ergänzungen bei Beförderungen.

Die Schlinge zieht sich zu

Dr. Wagenthal war fassungslos. Wie hatte Matt diesen Job bekommen, ohne eine ordentliche Bewerbung und ohne sorgfältige Prüfung seiner Unterlagen? Die Verträge waren von der Leiterin der Personalabteilung, Heike Behrens, persönlich unterzeichnet.

Nach einem langen Gespräch mit Frau Behrens – die unter Tränen alles gestand – war Dr. Wagenthal um eine bittere Erkenntnis reicher. Matt war ein Blender, der Frauen ausnutzte. Über eine Affäre mit Heike Behrens hatte er den Job bekommen und durch Carolyns Fachkenntnisse hatte er sich seine Beförderungen erschlichen.

Skrupellos – arbeitslos

Matt hatte sich mit Händen und Füßen gegen seine Entlassung gewehrt. Er hatte darauf spekuliert, Dr. Wagenthal würde ihm zumindest eine hohe Abfindung zahlen, um einen öffentlichen Prozess zu vermeiden. Doch er hatte sich getäuscht.

So sass er nun vor dem Arbeitsgericht und musste mit anhören, wie erst Heike Behrens und dann Carolyn darüber berichteten, wie sie von ihm ausgenutzt worden waren. Mittlerweile war allen klar, dass Matt niemanden liebte außer sich. Am Ende des Prozesses war Matt nicht nur als skrupellos bekannt, sondern auch arbeitslos.